In namhaften Medien wird Empathie mal als Gefühlsduselei abgetan, mal hochgepriesen. Manche einigen sich darauf, dass Führungskräfte doch bitteschön nicht therapeutisch handeln sollten. Ich möchte an dieser Stelle ein wenig aufräumen und erläutern, weshalb professionelle Empathie eine Schlüsselfähigkeit für Leader ist.
Die Empathie, ein süßes Gift?
So viel Unsinn wird über Empathie geschrieben… Beispiele: Die „Wirtschaftswoche“ schreibt in einem umstrittenen Artikel über die „10 Nachteile des Mitgefühls“1 – wobei Empathie und andere Begriffe in einem Topf geworfen werden. Unter anderem lauge Mitgefühl aus, es mache einsam, grenze aus. Gut, von der „Wirtschaftswoche“ erwarte ich keine Höhenflüge zum Thema Soft Skills.
Die „Zeit Online“ titelt sogar „Das süße Gift der Empathie“ 2. Man könne sich nicht in so vielen Menschen einfühlen. Grenzenloses Mitgefühl wäre unmöglich. Empathie wäre eine passive Fähigkeit.
An anderer Stelle liest man, „Führungskräfte werden nicht dafür bezahlt, nett zu sein“. Sie könnten es nicht allen Mitarbeitern recht machen. Der Kuschelfaktor Empathie führe zu Basisdemokratie und ewigen Meetings.
Wird Ihnen auch schwindelig? Meine Diagnose: Verwirrung durch Eintopf-Journalismus. Man nehme einen Topf oder ein ähnliches Gefäß, werfe alles rein, koche es lange genug und nenne es Eintopf. Man nehme Empathie, Mitgefühl, Mitleid, Einfühlungsvermögen oder irgendwas Vergleichbares, verbinde es mit so ziemlich allen Vorbehalten, die einem einfallen und nenne es Empathie.
Weder Eintopf noch Einhorn
Ziehen wir den guten alten Duden zu Rate, ist Empathie die „Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen.“
Die Fähigkeit der Empathie lässt sich genauer in drei Formen unterscheiden3:
- Die emotionale Empathie beschreibt die Fähigkeit, das Gleiche zu fühlen wie andere.
- Die kognitive Empathie kann Gedanken und Absichten von Menschen erkennen und Schlussfolgerungen zu ihrem Verhalten ableiten.
- Die soziale Empathie wird Systeme aus Menschen unterschiedlicher Kulturen, Werte und Eigenschaften verstehen.
Wir sprechen also hier von Einfühlungsvermögen, nicht von grenzenlosem Mitgefühl oder gar von Mitleid. Alle Versuche, Empathie als Friede-Freude-Eierkuchen-Gefühlsduselei abzutun, scheitern an der oberen Definition.
Deshalb sind wir aber nicht gleich im „Zeitalter der Empathie“ 4 angekommen, so wie es der „Harvard Business Manager“ gerne hätte. Das klingt schon verdächtig nach Fabelwesen und Einhörnern.
Vielleicht sollten wir die Kirche im Dorf lassen.
Es kann sein, dass Empathie früher nicht zu den primären Aufgaben des Managements gehörte. Ich finde allerdings, dass gefühlskalte Leader ausgedient haben. Von Leadern wird heute verlangt, dass sie Coach-Fähigkeiten entwickeln. Empathie ist für mich eine der Schlüsselfähigkeiten eines herausragenden Leaders.
Vorteile der Empathie
Team motivieren
Intrinsische Motivation benötigt Impulse. Eine Möglichkeit ist es, Ihren Mitarbeitern eine klare Vision zu vermitteln, wohin die Reise geht. Dafür muss man seine eigenen Emotionen in Bewegung setzen und eine Resonanz bei den Mitarbeitern erzeugen. Eine andere Möglichkeit ist, eine wertschätzende Kommunikation mit jedem Einzelnen zu pflegen. Zeigen Sie Ihren Mitarbeitern, dass Sie ihren Wert schätzen, indem Sie ihnen aktiv zuhören.
Mitarbeiter halten
Empathie ist ebenso entscheidend um talentierte Mitarbeiter zu halten. Es ist bekannt, dass Mitarbeiter bei einer Firma anfangen und einen Chef verlassen. Mangelnde Wertschätzung wird als wesentlicher Grund genannt.
Vertrauen aufbauen
Es geht nicht darum, es allen recht machen zu wollen. Das würde jedes Handeln unmöglich machen. Vielmehr entwickeln und zeigen Sie Verständnis für die Bedürfnisse Ihres Gesprächspartners. So können Sie individuell auf ihn eingehen. Sie wirken authentisch, interessiert und vertrauenswürdig.
Richtig delegieren
Da beidseitiges Vertrauen nun besser gedeihen kann, wird Ihnen Delegation leichter von der Hand fallen. Micromanagement ist passé. Sie können sich auf Ihre Kernaufgaben konzentrieren.
Konflikte vorbeugen
Der innere Kompass der Empathie hilft Ihnen, Probleme richtig einzuschätzen und schneller einzugreifen. Sie sind besser imstande so zu handeln, wie es die Situation erfordert. Konflikte im Team werden früher erkannt und geschlichtet.
Feedback geben
Ehrliches und zeitnahes Feedback gehört zu den Kernaufgaben eines Leaders. Es ist jedoch eine Kunst, Feedback so zu geben, dass es angenommen wird. Empathie liefert einen entscheidenden Beitrag im sogenannten Feedbackdreiklang. Mit diesen drei Schritten kommt Ihr Feedback auch an:
1. Wahrnehmung: „Ich habe beobachtet …“
2. Wirkung: „Das löst bei mir aus …“
3. Wunsch: „Ich wünsche mir …“
Kunden dienen
Wenn Empathie bedeutet, Bedürfnisse zu identifizieren und auf sie einzugehen, ist doch klar weshalb nicht nur der Vertrieb, sondern das ganze Unternehmen diese Fähigkeit beherrschen sollte.
Empathie in der Praxis
Empathie lernen
Empathie ist ein Willensakt. Sie können sie trainieren. Alles fängt mit der Selbstwahrnehmung an, das heißt mit dem Kontakt zum eigenen Körper und den Gefühlen. Wie wollen wir Gefühle von anderen wahrnehmen, wenn wir keinen Zugang zu unseren haben? Manchen hilft Sport, anderen Yoga, Qigong, Meditation oder ein Spaziergang in der Natur. Wenn Sie im Gespräch sind, versuchen Sie aktiv zuzuhören: sprechen lassen, nicht werten, nicht schon über die Antwort nachdenken, paraphrasieren. Zeigen Sie sich insgesamt interessiert und stellen Sie mehr Fragen als Anforderungen. Wenn Sie sich Coaching-Techniken aneignen möchten: erkundigen Sie sich über Accessing, Kontaktaussagen oder Spiegeln.
Empathie einsetzen
Auf dem ersten Blick sieht empathische Führung aufwendig aus, da nicht nach dem Gießkannenprinzip geführt wird. Doch der Mehraufwand lohnt sich, da Sie ihre Mitarbeiter nicht mehr micromanagen und so viele Probleme lösen müssen. Davon abgesehen ist das Klima im Unternehmen schlicht angenehmer.
Achten Sie darauf: Empathie sollte sich im Gleichgewicht mit einer gesunden Distanz halten. Dann ist sie professionell und temperiert. Sie möchten einen unvoreingenommenen Blick bewahren und sich vor negativen Emotionen schützen. Wahrscheinlich wollen Sie auch nicht als Kumpel wahrgenommen werden.
Empathie ist etwas für entschlossene Leader
Es erfordert
- Mut über den Tellerrand seines eigenen Egos zu schauen.
- Demut vom hohen Ross abzusteigen und auf Mitarbeiter zuzugehen.
- Einsatz die verschlungenen Pfade der situativen Führung zu gehen.
- Souveränität die Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz zu meistern.
- Neugier bei sich anzufangen: mit der Selbstführung.
Die Entwicklung der Empathie ist eine Aufgabe für jeden von uns. Beginnen wir mit kleinen Schritten.
Mein erster Chef, zu meiner Wiener Zeit, hatte mich beeindruckt: am Ende eines jeden Telefonats wartete er, bis der Gesprächspartner aufgelegt hatte, bevor er selbst, mit einem Lächeln, den Hörer langsam vom Ohr nahm. Ein echter Zu-Hörer.
Manchmal sind es die kleinen Dinge, die einen herausragenden Leader von einem guten unterscheiden.
Quellen
1 Wirtschaftswoche, Die zehn Nachteile des Mitgefühls, 2016
www.wiwo.de/erfolg/trends/empathie-die-zehn-nachteile-des-mitgefuehls/12858976.html
2 Zeit Online, Das süße Gift der Empathie, 2018
www.zeit.de/2018/10/mitgefuehl-empathie-politik-verstand
3 L. Shaw u. a.: Measuring empathy: reliability and validity of the Empathy Quotient. In: Psychological Medicine. 34, 2004
4 Harvard Business Manager, Das Zeitalter der Empathie, 2014
www.harvardbusinessmanager.de/blogs/manager-brauchen-neuen-fuehrungsstil-a-987288.html
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