Kaum ein Beruf ist so von Mythen umwoben wie der des Topmanagers. Er genießt nicht unbedingt einen guten Ruf und wirkt doch auf viele Führungskräfte anziehend. Mal dort oben angekommen, hätten Sie alles erreicht, nicht wahr? Nur, wollen Sie wirklich Topmanager werden?
Diese Frage stelle ich jedem, der zu mir ins Coaching kommt und diesen Karriereschritt plant. Ich will niemanden grundsätzlich davon abhalten. Aber es ist vernünftig, sich damit auseinanderzusetzen, was Topmanagement eigentlich für Chancen und Risiken birgt und ob Sie das Zeug dazu haben.
Zu allererst möchte ich den Begriff Topmanagement eingrenzen. Wir beschäftigen uns heute mit der zweiten Führungsebene von mittelständischen und großen Unternehmen. Sie zielen wahrscheinlich zuerst auf die Verantwortung als Bereichsleiter oder Vice President, bevor Sie sie sich auf den Vorstandssessel setzen möchten.
Eins kann ich Ihnen vorab verraten: ja, die erste Zeit im Topmanagement kann befremdlich sein, nachdem Sie vom mittleren Management aufgestiegen sind. Einige geben nach ein paar Jahren auf oder werden hinauskomplimentiert. Sie möchten demnach gut vorbereitet sein. Und nein, Sie müssen nicht zum eitlen Schaumschläger werden. Sie werden gestalten können, wenn Sie nur mutig sind.
Ein paar Schaumschläger wird es schon geben
Letztes Jahr durfte ich Alexander im Coaching begleiten. Er hatte es 6 Wochen zuvor zum Vice President Operations eines großen Mittelständlers geschafft. 9 Jahre lang leistete er viel für seine Firma an Überstunden und Fleiß, überzeugte durch sein Wissen und meisterte wichtige Projekte. Er war sich zuerst sicher, es würde reichen diesen Biss beizubehalten, der ihn zum Boss gemacht hat. Einfach weiter machen wie bisher, der einzige Unterschied wären mehr Verantwortung und mehr Mitarbeiter. Doch es stellte sich heraus, dass der Schein trügte. Er konnte die höheren Bezüge und den größeren Firmenwagen nicht lange genießen. Es wehte doch ein anderer Wind dort oben. Es war ihm noch nicht klar, woher dieser Wind kam und wie stark er war.
Im Coaching berichtete mir Alexander, dass seine Kompetenz nicht mehr gebührend gesehen werde. Inhaltliches habe wohl nicht mehr denselben Stellenwert wie bisher. Seine Kollegen betrieben sinnlosen Smalltalk, in Meetings ginge es nur noch um Selbstdarstellung und um den Vorstand entstehe ein Personenkult. Gäbe es denn hier nur noch geltungssüchtige Manager, die ihren Status klären und ihr Ego streicheln wollen? Er habe auch keine Lust auf politische Spielchen, die andere offensichtlich treiben. Taktisches Kalkül gehöre nicht zu seinen Stärken und er wäre nicht bereit, seine Arbeitszeit mit Kleinkriegen zu verbringen.
Wollen wir dem Management-Autor Ralf Lisch glauben, ist die erforderliche Kernkompetenz auf dieser Ebene die „Inkompetenzkompensationskompetenz“1. Es werden immer wieder potemkinsche Dörfer errichtet, die eigene Mängel verdecken sollen. Im Wesentlichen pflegten Topmanager ihre eigene Affektiertheit. Ein hartes Urteil. Die Wahrheit ist, es herrscht ein anderes Klima an der Spitze eines Unternehmens. Die Luft ist dünner, die Ellenbogen härter und Politik ist an der Tagesordnung. Es agieren nicht selten Kollegen, denen an der Präsentation der eigenen Person mehr gelegen scheint als an der ihres Unternehmens oder ihres Bereiches.
Sie werden sich vielleicht fremdgesteuert fühlen
So manch ein Topmanager fühlt sich in der neuen Rolle eingepresst und beklagt, dass er nicht mehr authentisch führen kann. Er ist mit guten Absichten ins Rennen gestartet, wollte viel bewegen, gewinnt aber den Eindruck, dass er eher fremdgesteuert ist. Die Anforderungen an die Rolle steigen, er verliert an Autonomie. Manchmal muss er harte Entscheidungen treffen, die nicht seinen Werten entsprechen. Führen wird immer ambivalenter. Es gilt mehr denn je auf dem filigranen Grat zu gehen zwischen Nähe und Distanz, Vertrauen und Kontrolle, Gleichbehandlung und Einzelfalllösung, Vorschriften und Mitdenken, Ordnung und Innovation (siehe „Dilemmata der Führung“ nach Neuberger2).
Hinzu kommt, dass der Traum nach Entscheidungsfreiheit platzen kann. Entscheidungen gehen hier einen anderen Weg. Spontane Entscheidungen sind im Topmanagement fehl am Platz. Mit der eigenen Rolle ist eine Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und dem Unternehmen selbst verbunden. Topmanager haben oft Sorgen, mit den Konsequenzen einer Fehlentscheidung wie dem Verlust des Arbeitsplatzes, der Prestige oder Umsatzverluste umzugehen. Sie tragen eine schwere Last. Dadurch können sie ihr natürliches Entscheidungsverhalten verlieren. Sie neigen dazu, kollektiv zu entscheiden als Möglichkeit der Absicherung. So dauern Entscheidungsprozesse mitunter länger als gedacht.
Ich kann verstehen, dass der eine oder andere Topmanager frühzeitig das Handtuch wirft. Er will nicht mehr so funktionieren, wie von ihm erwartet wird. Doch sehen wir mal, was aus Alexander geworden ist.
Sie können dennoch vertrauensvolle Beziehungen aufbauen…
Alexander schaute mich verdutzt an, als ich ihm nahelegte, dass Politik 1. zu seinen Kernaufgaben gehört und 2. sie durchaus Freude bereiten kann.
Die Verantwortung als Topmanager anzunehmen und sich über Politik zu wundern ist vergleichbar mit einem, der mit dem Studium der Ingenieurwissenschaften beginnt und sich fragt, warum so viel Physik und Mathe vermittelt wird. Politik ist fester Bestandteil der Rolle eines Topmanagers und ist nicht per se etwas Schlimmes. Es ist unerlässlich, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen. Statt misstrauisch zu überlegen, wen man noch vertrauen kann, lade ich ein, Vertrauen zu schenken. Statt Selbstdarstellung als Eitelkeit abzutun, lade ich ein, Gutes zu tun und darüber zu reden. Ein zentraler Erfolgsfaktor auf dieser Ebene ist, neben der Motivation der Mitarbeiter, die Kommunikation der Bereichsergebnisse und -ziele. Das ist der springende Punkt: es geht um das Unternehmen und um die Rolle, nicht um die Person. Wer sich dazu verleitet fühlt, die eigene Person über das Unternehmen zu stellen, hat seine Rolle nicht verstanden und sollte darauf angesprochen werden.
Was ist daran falsch, die eigene Dienstleistung und Ergebnisse zu verkaufen, solange sie nicht umsonst beschönigt werden? Was in der freien Marktwirtschaft und für das eigene Unternehmen gilt, sollte doch auch hier gelten: ein Produkt/eine Dienstleistung zu entwickeln, die Kundenbedürfnisse befriedigt, sie zu verkaufen und mit den Mitbewerbern mithalten zu können. Insofern halte ich viel von einer klaren Kommunikation und gesunden Konkurrenz im Unternehmen. Sie soll nur nicht außer Kontrolle geraten. Schlecht ist, wenn sich das Topmanagement mit sich selbst beschäftigt und den Kunden aus den Augen verliert.
Alexander ist als Ingenieur und Experte die Karriereleiter aufgestiegen, bis hoch zum Topmanager. Er beschäftigt sich nach wie vor leidenschaftlich mit inhaltlichen Aufgaben und würde am liebsten damit alleingelassen werden. Er ist gerne fachlicher Ansprechpartner seiner Mitarbeiter und setzt sich auch mal mit ihnen an den Computer. Als Abteilungsleiter konnte er sich das noch erlauben. Jetzt nicht mehr. Es gehört zu meinen Aufgaben, dem Klienten unverblümt die Wahrheit zu sagen: „Lass es los! Lass uns stattdessen herausfinden, welche die Anforderungen an deiner Rolle genau sind. Du wirst vermutlich zu dem Schluss kommen, dass du vieles an deine Mitarbeiter delegieren kannst“. Alexander verfügt damit über mehr Zeit für die Stärkung seines Bereichs im Unternehmen und den reibungslosen Ablauf mit anderen Bereichen. Er lernt, dass er mehr AM Unternehmen, und weniger IM Unternehmen arbeiten muss.
Nach der Rollenklärung steht Alexander vor dem nächsten Problem: er fragt sich, wie er kompetent die Lücke füllen soll, die entsteht nachdem einiges an Verantwortung von ihm abfällt? Er hätte nicht die nötigen Soft Skills und politischen Kenntnisse, um in dieser neuen Rolle erfolgreich zu sein. Genau darum geht es als nächstes in unserem Coaching. Wir analysieren die mikropolitischen Verhältnisse in seinem Unternehmen, suchen nach Verbündeten und Spielverderbern und arbeiten an seinen Auftritt. Meine Intention ist es, aus einem guten Manager einen herausragenden Leader zu machen. Streng genommen macht er das selbst. Ich setze die nötigen Impulse.
… und ordentlich etwas bewegen
Ich bin der festen Überzeugung, dass man lernen kann ein wirksamer Leader zu sein. Wenn man es will. Aus einem Introvertierten wird kein Extrovertierter. Aus einer schlechten Führungskraft keine gute. Aber wer mehr als ein paar relevante Bücher liest und Seminare besucht, wer konsequent an seiner Persönlichkeit arbeitet und über die Schlüsselfähigkeiten eines herausragenden Leaders reflektiert, wird im Topmanagement aufblühen. Es ist möglich, die Einschränkungen der eigenen Rolle zu sublimieren und mutig neue Wege zu gehen, um das Unternehmen nachhaltig zu verändern. Zum Beispiel eine Fehlerkultur einzuführen, die einen selbst und die Mitarbeiter entlastet und Vertrauen schafft. Ein wahrer Leader beginnt mit dem eigenen Vorbild, mit authentischem Führen nach dem Motto: „Führen heißt dienen.“
Alexander ist gestärkt aus dem Coaching gegangen, hat jetzt auf meine Empfehlung hin einen Mentor im Unternehmen und hat mir neulich geschrieben, mit einem Augenzwinkern: „Langsam finde ich Gefallen an der Politik, denn mein Bereich hat mehr Rückhalt bekommen und ich kann viel leichter Veränderung herbeiführen.“
1 Ralf Lisch, Inkompetenzkompensationskompetenz, 2016
2 Oswald Neuberger, Führen und geführt werden, 1995
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